Catinka Anczykowski wurde 1940 in Münster geboren.
Von 1959 bis 1961 besuchte sie die Werkkunstschule Münster bei dem Maler und Zeichner Prof. Hans A. Griepentrog, der später als Professor an der Nachfolgeinstitution, der Fachhochschule Münster, im Fachbereich Design unterrichtete, sowie Prof. Reinhard Herrmann. Dessen Schwerpunkt lag in der Buchillustration. Zudem machte Catinka Anczykowski eine Ausbildung zur Glasmalerin.
1961 heiratete Catinka Clasing den Regisseur und Filmemacher Paul Anczykowski. 1962 absolvierte sie ein Volontariat bei der Glaswerkstatt Junglas. Ein erstes Glasfenster entstand für die Trinitatis-Kirche, St. Andreasberg, 1963 folgte eines für die Elisabeth-Kirche in Münster.
Geburt von Sohn Caspar.
1964 entwarf Catinka Anczykowski ein Kirchenfenster für die Nikolai-Kirche in Roxel.
Die Künstlerin bezieht ein Atelier auf dem Kotten Schulze-Althoff in Ostbevern.
1965 Geburt des Sohnes Daniel, 1979 wird die Tochter Anna Katerina geboren.
1996 erfolgte der Atelier-Umzug auf den Bauernhof Harkampsheide in Telgte, wo sie lebt und arbeitet.
Zahlreiche Reisen in den Jahren 1958 bis 2004 führen die Künstlerin immer wieder nach Escalles in die Normandie bei Calais, zwischen 1984 und 1993 nach Milina, auf dem südlichen Pilion in Thessalien, Griechenland, sowie nach Piacenza, in der Region Emilia-Romagna, Italien 2002 bis 2004.
Noch bis in die Mitte der 1970er Jahre entstehen Glasfenster.
Seit 1969 hat Catinka Anczykowski immer wieder Einzelausstellungen, zunächst in der elterlichen Galerie Kleiner Raum Clasing, ab 1990 in der inzwischen zusammen mit ihrem Mann eröffneten Galerie Etage am Prinzipalmarkt in Münster.
Das künstlerische Schaffen Catinka Anczykowskis ist geprägt vom familiären Kunstleben in Münster. Ihr Vater Heinrich Clasing, geboren 1911, war gelernter Buchbinder und studierte in den 1930er Jahren am Bauhaus in Dessau und Berlin. Nach dessen Rückkehr in den elterlichen Betrieb, aus dem 1935 Clasings Kleiner Raum hervorging, brachte Clasing neue Impulse in das Kunstschaffen seiner Heimatstadt Münster. Neben dem Buchbinderhandwerk und dem Einrahmen von Gemälden und Grafiken begann dort auch eine rege Ausstellungstätigkeit.
Mit zumeist intuitiv entstandenen, weniger entwurfsmäßig vorgeplanten Ölbildern und Collagen zeigt Catinka Anczykowski unterschiedliche Richtungen ihrer Kunst auf, die man vielleicht zwischen Sensibilität und versteckter Ironie ansiedeln könnte. Die Malerei stand zunächst im Vordergrund. Unter den Eindrücken von Naturerlebnissen entstehen reine Ölbilder wie etwa „Kastanie“,1976, „Apfelstillleben“,1983 oder „Maisfeld“,1987. Sie sind in lockerem, beinahe verwischtem aquarellartigen Duktus gehalten.
In Mischtechnik angelegte Werke verweisen bereits auf später folgende Collage-Arbeiten. Das „Herbstfeld“, 2010, wie andere, frühere Arbeiten auf Rupfen gemalt - einem groben, leinwandbindigen Gewebe mit relativ lockerer Struktur, was den kräftigen Farbauftrag bildhaft mit der Natur vereint erscheinen läßt -, mag beispielgebend sein. Ebenso die „Ranunkeln“,1999 - ursprünglich ein aus Kreta und dem Mittelmeergebiet stammende Hahnenfussgewächs, mit zarten, rosafarbenen Blüten -, die im statischen Gebinde in einer Blumenvase überzeugende Präsens zeigen. „Holtkamps Wald“, 2005 sowie die „Verwelkten Rosen“, ein Jahr später entstanden, gehören ebenfalls in diese Reihe, wobei die Datierung eines Werkes nur den Abschluß markiert, dessen Beginn vielleicht bereits Jahre zurückliegt.
Die Sensibilität der Künstlerin deutet sich besonders in einem Bild an, das zunächst keinen Titel trägt. Es gleicht hingegen einem Tagebuch. Zwischen zeichnerisch angelegten Baumstrukturen, deren Aufbau an menschliche Wirbelstrukturen erinnert, schreibt Catinka Anczykowski: „Was für ein Tag. Ich versuche einen Wald zu zeichnen. Plötzlich sehe ich nur noch Helgas zerbröselndes Rückgrat“. Wobei sie unten rechts zunächst mit „14. Juni 2011“ datiert und dann unten links ergänzt „† 1.Okt. 2011“. Es ist ein sehr persönliches Werk, ein Gedenken an die verstorbene Kunsthistorikerin und Künstlerin Helga Rensing (geb. 1926).
Auch ihrem Mann Paul widmet Catinka Anczykowski einige ihrer Werke.
Neben Ölbildern und den in Mischtechniken gehaltenen Arbeiten finden sich etwa ab 1994 zunehmend Collagen im Oeuvre. Es entstehen zunächst Collagen im klassischen Sinne aus Zeitungsschnipseln, Fotografien, Ansichtskarten oder Seidenpapieren.
„Venedig 2“, datiert vom „2. Sept. 2012“ mit dem Schriftzug „In Gedanken an Venedig Nov. 2010“, zeigt den zerschnitten angeordneten Dogenpalast, die Ansichten des Palazzo Ducale von der Seeseite aus betrachtet sowie den Markusplatz. Mit blauer Aquarellfarbe untermalt, wird die Darstellung von weißen Papierstreifen netzartig überlagert, wobei die Streifen wie eine notdürftig verbretterte Baustelle wirken. Sind hier die Stege der Lagunenstadt bei Überschwemmungen gemeint oder der Anblick dieser stets in restauro befindlichen morbiden Stadt?
Immer wieder taucht die Verwendung von Seidenpapieren auf, jener zarten, transparenten und mit aussagekräftigem Bildprogramm versehenen Papiere, in denen Apfelsinen für ihren Transport aus Übersee präpariert werden. Catinka Anczykowski sammelt diese Blättchen seit ihrem 15. Lebensjahr. Leidenschaftlich notiert sie in einem Bild: „An manchen Tagen hat man grosses Glück. Neue Seiden-Papiere zu finden!“ Sie spielt mit den Farben, den seidigen Formen der Papiere und ihren Motiven.
Eine andere Arbeit zeigt eine an Atlas, den tragischen Titan und Stützer des Himmelsgewölbes in der griechischen Mythologie erinnernde kniende Figur. Aus einer halbierten Frucht, die diese über ihren Kopf trägt, füllt sie Saft in ein großes Glas. Mit der Aufschrift „Natürliche Frische SaftSack“, einer Marke der Riel Fruchthandel GmbH. Diese Papierchen komponiert sie zu einem collagierten Blumenstrauß in einer Vase. Eine ironische Note scheint durchaus gewollt.
Weitere Arbeiten dieser Art von Papierprägungen zeigen drei Spielkarten, „Tres Ases“, aus Patagonien in Argentinien, oder die Seidenpapiere der „Flieger-Orangen“, in denen spanische Naranjas eingewickelt werden, versehen mit dem Label des viermotorigen Flugzeugs und dem Handelsnamen „Der Flieger“.
Wieder andere Collagen beziehen sich auf Aktualitäten täglicher Nachrichten. Eingearbeitete Zickzack-Bänder, die wir aus den Prognosen der Wirtschaft und Börsen her kennen, kommentieren die Vorgänge: „Deutscher Wertewandel. Der Preis für Rohöl“ oder „Warum spielt der Dax verrückt? 77 Minuten ohne Dax. Immer stärker Sorgen um Griechenland. Die Finanzkrise trifft zuerst die USA“.
Eine andere Werkschau dieser Ausstellung sticht besonders hervor. Wie in der Feldforschung hat Catinka Anczykowski alte Getränkedosen aus Weißblech gesammelt, diese gepresst und in eine regalartige Blechkonstruktion fächerförmig eingestellt. Sie wirken wie der Titel „Bibliothek“ es hergibt – wie eine Bibliothek, ein Objekt, das innerhalb vieler Jahre zwischen 1986 und 2000 entstanden ist. Die Außenlackierung bzw. der Offset-Druck auf den Dosen suggeriert in seiner Farbigkeit die unterschiedlichen Buchrücken einer Bibliothek, einschließlich der Prägungen, die auf dem blanken Blech angebracht sind. Dennoch geben die zerquetschten Aufreißdeckel, die mit Ring-Pulls versehen sind - einer Lasche aus Metall, die mit dem Deckel vernietet ist und dem Aufreißen der Dose dient -, dem ganzen Gepräge eine Note der Vergänglichkeit. Auch das haben sie mit Büchern gemein. Sie werden gelesen, die Buchrücken werden gedrückt und zum Teil eingerissen, stark holzhaltige Papierseiten oder ganze Buchdeckel brechen heraus. Auch hier spürt man die Ironie gegenüber den (vermeintlich?) gebildeten Leuten, die sich bedeutungsvoll vor ihren Bibliotheken fotografieren lassen.
Klammheimlich hat Catinka Anczykowski noch eine Postkarte mit einem ganz persönlichen Kommentar unter die „Bücher“ geschoben. Auf einer Karte mit einem Ready-made von Marcel Duchamp, dem Flaschentrockner von 1914, schreibt sie fast tagebuchartig: „17.8.02 Ich wußte nie, daß es ihn (Duchamp) gab! Und bin trotzdem so furchtbar von der Vergangenheit beeinflußt. 28.11.05 All ihr Kunstwisser + elitären Kunst-Schwätzer…(Namen verschweigen wir hier) 13.3.06.“
Von der Collage zur Dreidimensionalität, quasi eine Collage mit plastischen Objekten, eine Assemblage. Keiner kann dem Großmeister entrinnen – es lebe Duchamp!
Michael Wessing
Zusammen mit: Juan del Rio