Gro Lühn wurde 1945 in Oslo geboren.
Von 1964 bis 1968 studierte sie visuelle Kommunikation, Lithographie und Fotografie an der Fachhochschule Münster, von 1969 bis 1972 Kunst an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg bei den Professoren Gotthard Graubner, Richard Hamilton sowie David Hockney.
Seit 1969 stellt Gro Lühn regelmäßig in Museen und Galerien in Europa aus. Sie lebt und arbeitet in Münster.
Der Titel der Ausstellung verweist auf einen biografisch-künstlerischen Dialog zwischen Gro Lühn und ihrem Großvater Ansgar Möller, der einer der ersten Fotografen Norwegens war. Nach seinem Tod erhielt Gro Lühn dessen Nachlaß, bestehend aus braunen Pappkartons, in denen penibel geordnet, nummeriert und durch Pergamenthüllen geschützt, Glasnegative seiner fotografischen Arbeit aufbewahrt wurden.
Nachdem die Negative über 40 Jahre unbearbeitet in den Kartons ruhten, fand Gro Lühn vor einem Jahr einen jungen Fotografen, der es ermöglichte, digitalisierte Abzüge von den Glasnegativen, die etwa um 1925/30 zeitlich einzuordnen sind, zu erstellen. Die Abzüge wurden in einer Dreierauflage gefertigt.
Ansgar Möller (1881 – 1973) war von Beruf Ingenieur, doch seine Liebe und Leidenschaft galt dem aufkeimenden Medium der Fotografie. Seine bevorzugten Motive waren die norwegischen Gebirgs- und Meereslandschaften, Pflanzenstillleben sowie Familienbilder. Mit seiner Leidenschaft erzielte Möller in Venedig Preise für Fotografie.
Für Gro Lühn offenbarte sich beim Betrachten der Abzüge von den Glasplatten des Großvaters ein ganzer Kosmos längst vergangener Tage mit all seiner ursprünglichen Präsenz: der Kindheit, ihrer Eltern, der Heimat. Aus diesen Erinnerungsmosaiken wählte Gro Lühn zwanzig Fotografien aus, die alle leicht vergrößerte Ausschnitte der ursprünglichen Platten wiedergeben, und thematisiert damit die fotografische Bandbreite ihres Großvaters.
Wir erleben als Betrachter die aufgewühlte See im Hafen von Stavangar, die alten Häuserzeilen in einem geschäftigen Hafen in Norwegen, den weiten Oslofjord mit einer Schwester des Fotografen zu sehen auf einem Steg, Vater und Sohn bei der Landarbeit sowie im norwegischen Hochgebirge, oder den Leuchtturm von Arendal in Südnorwegen.
Da sind aber auch Blumenstücke und Stillleben von ganz besonderer Art.
Zu sehen ist z.B. die auf einem Brokatstuhl drapierte Filz-Mickey Mouse, zusammen mit einer kleinen Tänzerin aus Stoff und einem Windhund aus Porzellan aus dem Jahr 1923, die wie eine Vorbereitung zu einem Trickfilm wirken. Ein anderes Objekt zeigt eine, an eine menschliche Figur erinnernde Kartoffel, mit den uns allen aus der Kindheit bekannten Streichhölzern als Beine, aus dem Jahr 1930.Hier setzt auch der Dialog zwischen Gro Lühn und Ansgar Möller ein. Lühn übersetzt das Foto in eine Skulptur. Sie konstruiert den über einen Meter hohen Nachbau der Kartoffel aus Gips und Holz, mit den roten Socken an den „Füßen“ wie bei der Streichholzvorlage - eine Hommage an Großvater Ansgar.
Gro Lühn schreibt zu dieser Ausstellung: „Ich habe das fortgesetzt mit erstmals von mir gefertigten Keramiken: Mäuse, Vögel, Blätter, Nester – Erinnerungsstücke an Schären, wo Möwen ihre Nester bauten, und erweitert zu Formen meines privaten Kabinetts.“
Gro Lühn hat hier für sich neue Wege beschritten, indem sie sich mit der für sie unbekannten Technik der Keramik auseinandersetzt. Zahlreiche Versuche führten schließlich zum handwerklichen Erfolg. Einige dieser Objekte zeigt die Ausstellung: ein unbehandeltes, ungebranntes Blumenstück in blaß-grauer Farbstimmung mit einem Käfer an der Seite, ein zweimal gebranntes, weiß glasiertes Exemplar, oder zwei weiß engobierte Baumstümpfe mit darauf sitzendem Vogel und einem kleinen Mäuschen am Ende der Wurzel. Im Farbkontrast dazu erscheint ein schwarzer Rabe, der auf dem Rand einer ebenfalls schwarzen Schüssel sitzt.
Der Betrachter ist aufgefordert, diesem stillen und behutsamen Dialog zwischen Großvater und Enkelin zu folgen, wobei durchaus auch eigene Erinnerungen oder Umdeutungen möglich bleiben sollen.
Zwei große Spiegelobjekte, die eine Fortentwicklung früherer Arbeiten aus dem Jahr 2005 zu der Ausstellung „show“ im Foyer der Städtischen Bühnen Münster in Zusammenarbeit mit Architektur-Studenten sind, ermöglichen dem Betrachter eine eigene Expedition in Raum und Zeit.
Als Basis der Objekte dient eine große Spiegelscheibe, vor der auf beweglichen Gelenken kleinere Spiegelflächen angebracht sind, die in verschiedene Richtungen gedreht werden können. Stellt sich nun der Besucher vor das Objekt, kann er nicht nur sich, sondern auch rückspiegelartig den Raum wahrnehmen, in dem er sich befindet. Der Reflexions-Dialog ist durch die Flexibilität der Spiegelelemente variabel in mehrfacher Dimension. Durch die „Aufsplitterung“ des Gesamtbildes ist nicht nur der umgebende Raum vielschichtig, sondern infolge dieser Schrägstellungen einzelner Spiegel müssen auch Verzerrungen in Mimik und Gestik in Kauf genommen werden.
Eine Ausstellung im doppelten Dialog: Ansgar und ich – Betrachter und sich.
Michael Wessing
Gro Lühn • »Ansgar und ich – über Mäuse und Läuse«