Louis Chacallis, geboren 1943 in Algier, lebt heute als freischaffender Künstler in Nizza. Dort besuchte er auch die Ecole des arts décoratifs.
Im März 1970 schlossen sich Louis Chacallis, Martin Miguel, Serge Maccaferri, Max Charvolen und Vivien Isnard zu der <Groupe 70> zusammen, die drei Jahre lang in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung blieb, um der französischen Kunst neue Impulse zu geben und sich gegen den herkömmlichen Galeriebetrieb aufzulehnen. Im neuen Europa nach dem II. Weltkrieg war man fasziniert von Künstlern wie Jackson Pollock, Mark Rothko, Barnett Newman und Ad Reinhardt, deren Einflüsse auch in der <Groupe 70> zu beobachten waren.
In dieser Zeit experimentierte Chacallis mit unterschiedlichen Materialien wie Glasfaser-Gewebe, Schnur, rohem Holz oder Sägespänen. Er beobachtete die Wirkung von Farbmodulationen auf diese Materialien, indem er sie mit Pulverbeuteln, Fläschchen mit Flüssigkeiten oder direkt mit Pigmenten tränkte oder überzog. Chacallis untersuchte verschiedene Stützgewebe auf ihre Tragfähigkeit hin mittels Falten, Zerknittern, Schneiden, Demontieren oder Fragmentieren, bis er die für ihn geeignete Form gefunden hatte.
Chacallis erklärt hierzu: „Raum ist Bewegung. Die Malerei ist eine Haut, auf welcher Geschichte gezeichnet ist.“
Neben den Materialbildern entstanden in den 70er und 80er Jahren auch figurative Arbeiten, die bis heute sein Schaffen bestimmen. Seine „Honorables Armures“ erfahren mit Hilfe von Pappen - welche durch Leim geschmeidig gemacht werden - eine körperhafte Bearbeitung. Sie gleichen Marionetten, die farbig gefasst sind und die mit Bindfäden oder Bambusstöckchen - ihrerseits mit Fäden aneinander gebunden – versehen sind. Sie werden jedoch nicht unmittelbar von Menschenhand geführt, sondern entwickeln eine eigene Bewegung im Raum – ähnlich wie Mobiles -, die durch den Windzug des umhergehenden Betrachters zu gespenstigem Leben erweckt werden. Gleichzeitig haben sie etwas totemhaftes, verbreiten einen Hauch von Melancholie.
Eine andere Raumvorstellung entwickelt Chacallis in seiner Arbeit „Le Tapis volant“, wo auf einem fliegenden Teppich, farbig gefaßt und aus Pappmaché geformt, ein Fakir mit Turban und im Schneidersitz – ebenfalls aus dem gleichen Material - an einem gedrehten Tuch ziehend in den Raum fliegt.
Der „Fliegende Teppich“ ist bekanntermaßen ein Objekt aus der östlichen Tradition, verbunden mit der Idee der Levitation – dem parapsychologischen Phänomen, bei dem Menschen und Gegenstände unerklärlich schweben sollen -, der Magie und dem Nomadentum. Diese Begrifflichkeiten scheinen einen ganz wichtigen Stellenwert für Chacallis zu haben, bilden doch nach der persischen Tradition Teppiche einen Raum nach, eine Art von Mikrokosmos, deren Binnenzeichnung ursprünglich Gärten wiedergeben sollten, eine komplette Welt en miniature – eine Art schwebender Garten. „Der Garten ist die kleinste Parzelle der Welt und dann ist es auch wieder die ganze Welt“, schreibt z.B. Michel Foucault in seinem Buch „Andere Räume“ 1967.
In seinen Masken folgt Chacallis dem Prinzip des Dekonstruktivismus als kulturelles Zeichen. Die Begriffe Figuration und Abstraktion brachte er in seinen künstlerischen Arbeiten auf einen neuen Horizont, dem sich der Betrachter anschließen sollte, indem man versucht, hinter die Masken, hinter die Konstruktion einer Figur zu schauen, die Chacallis bereits durch Aufbrechen und Zerlegen sowie Wieder-Zusammen-Fügen vorgibt, wobei farbliche Akzentuierungen dem Betrachter den Weg weisen. Die Farbe dringt quasi in die Dreidimensionalität ein. Hier wird das Objekt nicht mehr zum eigentlichen Ziel eines Kunstwerks, sondern es bieten sich stets neue formale Lesarten an aufgrund der Vielschichtigkeiten von Häutungen, Überlappungen und Hüllen. Titel wie „Tattoo“ oder „Mascarade“ (2010) unterstreichen dies.
Hat Chacallis in früheren Jahren mit Elementen der jüngeren Kunstgeschichte gespielt, so haben seine aktuelleren Werke eher archaischen Charakter.
Bei der Bildhaftigkeit des Raumes in der Malerei als Objekt ging Chacallis in der Folge noch einen Schritt weiter, als er 2005 für Bad Rothenfelde die Außenplastik „Les Fondations du Ciel“ (Die Träger des Himmels) schuf. Vier sechs Meter hoch aufragende Stahlsäulen quadratischen Grundrisses tragen Würfel, die in ihrer Farbgebung wie luftige Wolkenformationen anmuten und entsprechend auf ihre bebaute Umgebung reagieren.
Michael Wessing
Zusammen mit: Susanne Hegmann
Die Laterne ist ein Requisit, das bei vielen Festen, Feierlichkeiten und Bräuchen auf allen Kontinenten leuchtet. Mir jedoch bietet sie vor allem einen dreidimensionalen Bild-Raum, der mir die zusätzliche Dimension einer echten Tiefe bietet, die im Bild nur malerisch dargestellt werden kann – die Fähigkeit, durch das Licht in Verbindung mit der Farbe, dem Objekt eine größere Leichtigkeit, sozusagen eine virtuelle Darstellung zu verleihen …
Louis Chacallis, »Chochin«
Zur Ausstellung:
Chacallis wurde 1943 in Algier geboren, wo er auch seine Jugend verbrachte.
Zahlreiche Reisen mit der Familie brachten ihn u.a. nach Saudi-Arabien, in den Jemen, nach Asien und Indien.
Die Familie ließ sich in Nizza nieder, wo Chacallis die École des arts décoratifs besuchte. Zu seiner künstlerischen Entwicklung hat er sich einmal geäußert, daß an der Französischen Riviera die Anwesenheit von Sonne, Meer und Licht für ihn die Farbe greifbar mache. Sein Atelier befndet sich heute in der Nähe des Hafens von Nizza.
Im März 1970 schlossen sich Louis Chacallis, Martin Miguel, Serge Maccaferri, Max Charvolen sowie Vivien Isnard zu der <Groupe 70> zusammen, die drei Jahre lang in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung blieb. Ziel war es, der französischen Kunst neue Impulse zu geben und sich gegen den herkömmlichen Galeriebetrieb aufzulehnen. Großen Einfuß auf diese Gruppe übten Künstler wie Jackson Pollock, Mark Rothko, Barnett Newman und Ad Reinhardt aus.
In dieser Zeit experimentierte Chacallis mit den unterschiedlichsten Materialien wie Glasfasergewebe, unbearbeitetem Holz oder Hanfschnüren. Er beobachtete die Wirkung von Farbmodulationen auf diese Materialien, indem er sie mit Pulver, Flüssigkeiten oder Pigmenten tränkte oder überzog. In weiteren Phasen untersuchte der Künstler verschiedene Stützgewebe auf ihre Tragfähigkeit hin mittels Falten, Zerknittern, Schneiden, Demontieren oder Fragmentieren, bis er die für ihn geeignete Form gefunden hatte. Der „Dekonstruktivismus“ erlangt für ihn Bedeutung, gleichwohl er zunächst lediglich eine Begrifichkeit für eine architektonische Stilrichtung im Anschluß an die Postmoderne darstellt, wo Destruktion und erneute Konstruktion eine neue Einheit formen. In den Arbeiten von Chacallis wird dieses Arbeitsprinzip stets deutlich.
Hierzu erklärt der Künstler: „Raum ist Bewegung. Die Malerei ist eine Haut, auf welcher Geschichte gezeichnet ist.“
Neben den Materialbildern entstanden in den 80er Jahren auch fgurative Arbeiten, die bis heute sein Schafen bestimmen. Seine „Honorables Armures“ erhalten durch Pappen, die mit Leim geschmeidig gemacht werden, ihre Körperhaftigkeit. Sie gleichen totemhaften Marionetten, die farbig gefasst und mit Bindfäden oder Bambusstöckchen behängt sind. Man kann nur erahnen, welche Eigendynamik sie wandunabhängig freischwebend im Raum entwickeln würden.
Eine andere Raumvorstellung zeigt Chacallis in den Werken, wo sich perspektivisch aus dem zweidimensionalen gemalten Untergrund ein aus Pappmaché geformtes dreidimensionales Menschenbild entwickelt. Eine dieser Figuren erinnert an einen Derwisch. In einer farbig ausformulierten Vorstudie hat er die Erinnerung an die sich immer schneller drehenden Derwische des Mevlevi-Ordens in der Türkei festgehalten. Von einer Perspektive oberhalb des Objekts kann man aber zusätzlich durch einen hölzernen Rahmen fxiert ein Meisterwerk Picassos oder Vermeers entdecken. Figuration und Abstraktion
werden in Einklang gebracht. Hier wird in der Tiefe des Farbraums die Dritte Dimension in der Malerei erreicht.
Die früheren Lampenobjekte von Chacallis waren aus Pappmaché und Pergament geformt, deren maskenhafte Züge im warmen Licht erstrahlten. Ebenso in warmes Licht getaucht erscheinen seine neueren Lampen, die für die Ausstellung mit dem Begrif „Chochin“ überschrieben sind.
Chochins gehören zu den traditionellen Lampen aus Japan. Aus gespaltenem Bambus wurde eine Spirale gemacht, die mit Pergament- oder Seidenpapier umwickelt wurde. Die Spiralstruktur erlaubte es, die Lampe in den Korb an der Unterseite zusammen zuklappen. Früheste Benennungen eines Chochins gab es bereits im Jahre 1085, erste Abbildungen erst im 16. Jahrhundert.
Im heutigen Japan sind die Chochins aus Kunststof gefertigt und mit Glühlampen statt Öl ausgestattet. Grundsätzlich haben diese Lampen eine längliche zylindrische Form. In der Ausstellung fällt aber auch eine andere Lampionform auf, ein scheibenförmiger sogenannter Andon von einem Meter Höhe, bei dem das eingefärbte Pergamentpapier über einen schmalen Holzrahmen gespannt ist. Im Schein des Lichtes erkennt der Betrachter ganz oben eine kleine rote Figur, die an eine kleine Geisha erinnern mag.
Die ausgestellten Chochins von Chacallis sind aus Kunststof, allerdings aus recyclebaren PET-Flaschen geformt. Sie wirken häufg durch ihre ursprünglich gestreckte Form – die dem Typ der japanischen Chochins ähnelt. Mit ein wenig Phantasie fndet unser Auge fgurative Annäherungen an Tierdarstellungen wie z.B. eine Ente, eine Schildkröte, ein Hase und weitere. Andere marionettenartige Figuren haben auch durchaus erotischen Charakter.
Hierzu hat der Künstler die Flaschen unterschiedlich zerschnitten und so seine Lampen aus quadratischen, dreieckigen und länglichen Segmenten aufgebaut. Die Teile sind mit Drähten verbunden. Manchmal sind schwarze fache Hölzer zwischen die einzelnen Glieder gesteckt – in Erinnerung an Bambus, manchmal lassen sie den Blick auch frei in ihr Inneres. Viele weisen bewußt Quetschungen auf. Bei der Farbgebung überwiegen Gelb-, Orange-, Grüntöne bis hin zu Türkis und Blau.
Chacallis äußert sich hierzu: „...Mir...bietet [die Laterne] vor allem einen dreidimensionalen Bild-Raum, der mir die zusätzliche Dimension einer echten Tiefe bietet, die im Bild nur malerisch dargestellt werden kann – die Fähigkeit, durch das Licht in Verbindung mit der Farbe, dem Objekt eine größere Leichtigkeit, sozusagen eine virtuelle Darstellung zu verleihen...“.
Michael Wessing
Zusammen mit: Fried Rosenstock
„Les trois temps de l‘espace“
Chacallis wurde 1943 in Algier geboren, wo er auch seine Jugend verbrachte.
Zahlreiche Reisen mit der Familie brachten ihn nach Saudi-Arabien, in den Jemen, nach Asien und Indien. Die Familie ließ sich in Nizza nieder, wo Louis die École des arts décoratifs besuchte.
Zu seiner künstlerischen Entwicklung hat er sich einmal geäußert, dass an der Französischen Riviera die Anwesenheit von Sonne, Meer und Licht für ihn die Farbe greifbar mache. Auch die Eindrücke seiner früheren Reisen sind noch lebendig.
In den 1970er Jahren schloß sich Chacallis mit anderen Künstlern zu der „Groupe 70“ zusammen, um der französischen Kunst neue Impulse zu geben.
Sie suchten nach veränderbaren Positionen in der Kunst zwischen Farbe, Skulptur und Raum, wobei auch Materialbilder mit experimentellen Farbmodulationen entstehen. Zu dieser Zeit entwickelt Chacallis zunehmend auch figurative Arbeiten, die bis heute sein Schaffen bestimmen. „Raum ist Bewegung. Die Malerei ist eine Haut, auf welcher Geschichte gezeichnet ist“, so sein Credo.
Aus zahlreichen Versuchen mit den unterschiedlichsten Materialien und Pigmenten entwickelt sich schließlich sein bevorzugtes Arbeitsmaterial: das bemalte Pappmaché. Mit dem speziellen Gemisch aus Papier und einem Bindemittel lassen sich leichte, aber gleichermaßen stabile, körperhafte Gebilde und Figuren schaffen, die nicht zuletzt durch ihren Farbauftrag für Chacallis die ideale Struktur seiner künstlerischen Aussagen bilden.
Figuren und Objekte werden allesamt durch die Hand des Künstlers zerlegt und aufgebrochen und somit zu einer neuen Form entwickelt. Der Betrachter wird aufgefordert, auch hinter die Dinge zu schauen, um nicht nur der Absicht des Künstlers zu folgen, sondern sich darüber hinaus auch ein eigenes Bild zu machen. Er konfrontiert uns mit seinen Objekten, deren einzelne Elemente sich zwar im Raum bewegen, aber stets miteinander verbunden sind, sei es durch Fäden oder durch raumbedingte Gegebenheiten. Figur, Perspektive, Tiefe, Raum und Volumen sind dabei wichtige Determinationen für den Künstler.
Hat Chacallis früher nach Ausdrucksmöglichkeiten der Sicht auf ein Menschenbild im Dialog mit Geschichte und Zukunft gesucht, finden sich heute durchaus kritische Momente in seinem Werk, politisch anklagend und ironisch.
Eines seiner Werke nennt er doppelbödig „Brush your country“. Vertikal übereinander aufgehängt erscheinen acht Pinsel, auf deren breiten, ausgedrückten und zerquetschten Quasten die Fahnensymbole Europas, Israels, Russlands, der Türkei und USA zu sehen sind.
Ähnliche Symbolik und Anordnung erkennt man bei einer weiteren Arbeit mit neun Elementen, aus aufgebrochenen und gelöcherten Halbschalen zusammengestellt. In einem Kompartiment, in roter Farbe, kann man die Embleme Russlands und der Türkei ausmachen. Im Zentrum der Objekte befindet sich der Bereich der USA, umschlungen von dem gelben Sternenbanner Europas. Israels Fahne wiederum befindet sich auf einem roten Gebilde, dessen Form an einen Indianerkopf im Profil erinnern könnte. Vier weitere blaue Elemente, angeordnet in Kreuzform entsprechen laut ihrer Bezeichnung der Nord-Süd- bzw. West-Ost-Achse.
Das Weltgefüge bricht auseinander. Oder kann es noch die Richtung halten?
Anklagend und morbide wirkt auch ein senkrecht aneinander gekettetes Werk, bestehend aus sechs dunkelblau unterlegten Kalotten, durchlöchert, eingerissen, geschnitten, verletzt. Unsere blaue Erde – man erkennt Teile des Globus‘ - bricht Stück für Stück auf, oder auseinander, und zeigt im letzten Element der Hängung einen ausgehöhlten, leeren Planeten.
Michael Wessing